Schnellroda

Ignorieren geht nicht. 08. Juli / 23. September 2023 

Hintergrund:
Seit 20 Jahren ist Schnellroda Synonym für eines der wichtigsten Zentren für die Neue Rechte. Das in diesem 150-Personen-Dorf von Götz Kubischek und Ellen Kositza als spendenbasierter Verein gegründete „Institut für Staatspolitik“ und dem angegliederten Verlag Antaios gelten als Think Tank der Neuen Rechten, das „die Revolution von rechts“ intellektuell vorbereitet und durch Vernetzung mit Identitärer Bewegung und immer mehr auch der AfD die Wirkkreise in viele gesellschaftliche Bereiche ausbaut. So zum Beispiel durch den ebenfalls von Kubitschek mitbegründeten Ein Prozent e.V., der u.a. „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ propagiert und attraktiv machen will – dahinter liegt der völkische Gedanke der sogenannten „Sammlungsgebiete“. An dieser Stelle sei auf die viel informierte Arbeit des  Kollektiv „IfS dichtmachen“ (noblogs.org) hingewiesen, die seit vielen Jahren dem „ifs“ ihre aufklärende und aktivistische Arbeit entgegensetzt.


08.07.2023, das Sommerfest des „Institut für Staatspolitik“: von Rechtsradikalen für Rechtsradikale; Familien, Alleinstehende, Jung und Alt kommen unter gemeinsamer rechtsextremer Ideologie zusammen bei Bier, Bratwurst und Büchertischen. Mitten in einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt, 40 Autominuten vor Halle / Saale – im Rittergut und im Gasthaus „Schäfchen“ wird seit 20 Jahren die „Revolution von rechts“ propagiert – unter Gleichgesinnten: Rechte aus der ganzen Bundesrepublik, aus Österreich und der Schweiz versammeln sich.
September 2023, die IfS-Sommerakademie: Mehrheitlich Personen unter 30 Jahre sollen hier durch Vorträge und Diskussionsrunden (dieses Mal zu Social Media Kampagnenarbeit) auf die zukünftige politische Arbeit vorbereitet werden. Wieder viele Kinder auf den Armen, viele Lederhosen, Scheitel, wenige Frauen. Es wird wieder gelaufen vom „Gasthaus Schäfchen“ zum Rittergut. Auch die Gegendemonstration zieht durchs Dorf – laut, unüberhörbar. Es könnten mehr sein…. Nur eine Familie des Dorfes öffnet die Tür und schaut sich den Gegenprotest an…

Das temporäre „Institut für Festkultur“ ist dabei.


Im Ort leben ca. 150 Personen. Landwirtschaftliche Betriebe und die private Selbstversorgung mit Tierzucht und Gartenbau prägen das Bild. Es sieht fast malerisch aus. Heute aber auch: Heruntergelassene Rollläden, stille Straßen und ein weiteres Wohnhaus, das gerade verlassen wurde und zum Verkauf steht. Das Dorf sei gespalten, hören wir von Bewohner*innen des Ortes. Unweigerlich drängt sich der Gedanke auf: Wer hier wohnt, muss eine Haltung entwickeln – für, gegen oder gleichgültig dem IfS gegenüber sein. Ignorieren geht nicht. Das ist ein spannungsreiches Leben. 

08. Juli 2023: Die Rechten haben Gesichtsmasken – ein „Gag des Sommerfestes“ – Papiermasken mit den Gesichtern von Nancy Faeser und Thomas Haldewang müssen für diesen herhalten. Der Social Media Apparat der Rechten Kanäle von Insta bis Twitter (später im Jahr X) läuft reibungslos: das Sommerfest und seine „Lehrvorträge“ werden gestreamt und kommentiert, einige Tage später ein Youtube-Trailer mit unzweifelhaft radikalen Aussagen der Nazi-Teilnehmer des Festes. Auch die Gegendemo wird – verbotenerweise – filmisch eingefangen, zynisch kommentiert und weiter verbreitet.

Das temporäre „Institut für Festkultur“ demonstriert – zusammen mit dem Kollektiv “ifs dichtmachen”, dem Bündnis Merseburg für Vielfalt und Zivilcourage, Halle gegen rechts e.V., miteinander e.V., dem SDS Halle, Omas und Opas gegen Rechts und anderen… Es gibt einen Infotisch, Fahnen zeigen Haltung zu Vielfalt, Toleranz und für Menschenrechte. Es gibt Kuchen, Kaffee, Musik und immer wieder Statements zu eben jener Veranstaltung, gegen die hier demonstriert wird. Allerdings bestreiten diese Gegendemo nicht mehr als 40 Personen (gegen angeblich 300 – 500 Teilnehmende an den veranstaltungen des IfS) – diese aber sind oft seit Jahren dabei und viele sehr gut informiert über das IfS und dessen Verstrickungen und die Personnage. Das temporäre „Institut für Festkultur“ erfährt, wer da angereist ist und wofür diese Personen einstehen: Max Krah und Martin Sellner und und und…

Das temporäre „Institut für Festkultur“ kokettiert mit diesem ständigen „fotografiert werden von rechts“, saugt die Zeichen auf: Vermummung ist auf dieser Seite verboten, auf der anderen Seite nicht (Versammlung vs. Demonstration), die Rechten machen ein Handzeichen, das mittlerweile von USA aus weltweit etabliert ist für das rechtsideologische Bekenntnis zu „White Power“.

Die Polizei und die Demonstrationsleitenden sind mit der Organisation und Begleitung dieser angemeldeten sozialen, politischen Zusammenkunft mehr als beschäftigt. Wer schützt hier wen? Es werden Routen besprochen, Wege festgelegt, Autos umgeleitet und geschaut, geschaut, geschaut… Zugehört, was gesagt wird. Die Grenzen sind das Gesetz, und dieses wird, das ist das perfide: vor Gericht ausgelegt, in Laiensprache: interpretiert… Viel Spielraum, anderes Thema, in einer nächsten Recherche vielleicht. 

Neben den Kindern der Rechten, von Götz Kubitschek und Ellen Kositza, die regelmäßig die Infobroschüren vom Stand von ifsdichtmachen nehmen und – wie beobachtet wird – in den Mülleimer vom „Schäfchen“ transportieren (indoktriniert von Kleinauf), kommt plötzlich ein Teilnehmer des IfS-Sommerfestes auf die Straßenseite der Gegendemo.

Es folgt ein etwa 20-minütiges, dichtes Gespräch.

Daraus folgt ein Erkenntnisgewinn für das temporäre „Institut für Festkultur“

  • Mit Rechten reden bedarf einer speziellen Haltung: es gibt mehrere, die sich bei Bedarf einnehmen lassen: 
  • Kasper (Regeln der Obrigkeit und das Strafrecht werden anerkannt, nicht immer eingehalten. Zufall und Begegnung spielen eine Rolle, der Moment entscheidet und wie er heil herauskommt. Kasper gewinnt immer. Das Grinsen ist sein Werkzeug.)
  • Die offene Hand (ist durchlässig einladend, lässt Ambivalenzen und Diversität zu, erfordert in der Begegnung ebenfalls eine Öffnung.)
  • Die geschlossene Faust (ahndet Verletzungen von Recht, Gesetz und Moral, ahndet Rassismus, Faschismus, Antisemitismus, Ableismus) 

Die jeweilige Haltung kann umgesetzt werden nach dem “Prinzip der radikalen Höflichkeit”: Das Gespräch ist eine Recherche. Das Ziel: Möglichst viel erfahren, sammeln und einordnen an Hintergründen und nicht zuletzt Überraschungen. Das Setting: Gespräche finden meist mit Einzelpersonen statt. Diese sind Teil einer gesellschaftlichen Gruppe – in dem Fall: Teilnehmende einer rechtsradikalen Infoveranstaltung im Kleid eines Vereinsfestes. Diese Person steht für mehr als eine Rolle. In diesem Fall: Das Gespräch dreht sich um Veränderungen versus ewig gleiche feststehende Wahrheiten, um Diskurse versus Paradigmen, um Bunt als Konzept (der Gesprächspartner wies das temporäre „Institut für Festkultur“ darauf hin, dass die Regenbogenfahne falsch herum aufgespannt war) und um Gräben. Die Seite der Person, die sich dazu entschlossen hat, an einer rechtsradikalen Veranstaltung teilzunehmen und deren Propaganda zu teilen, war die eine nicht angesprochene Seite, die andere, individualistische ließ sich durch die Haltung der „radikalen Höflichkeit“ ansprechen. Wie schließlich zu erfahren war: diese Person war vor etwa zwanzig Jahren Linksintellektueller in Künstler*innenkreisen in Leipzig.

Fazit der Erfahrung: Jede Person ist (theoretisch) frei in ihren Entscheidungen zur politischen Einstellung und Wahl. Wer rechts ist, muss dies nicht bleiben. Dieses Fazit könnte – vorsichtig formuliert – ein Leitbild für den Umgang in Rechercheverfahren und in der Begegnung für das temporäre „Institut für Festkultur“ sein. 

Dimensionen einer radikalen Höflichkeit

  • die eigenen Überzeugungen für einen Moment des „Transits“ ruhen lassen; zuhören, Bilder aufnehmen und nur für die Sammlung bewerten (das Gespräch soll unbedingt weiter gehen), zurückspiegeln, nachfragen, tiefer bohren, übersetzen und an humanistischen Idealen abgleichen. Wenn diese Ideale verletzt werden: deutlich machen, kommentieren, wieder zur Antwort auffordern.

Weitere Ausdrucksformen, die das temporäre „Institut für Festkultur“ ausprobiert hat:

  • performatives Winken
  • Lächeln
  • Anbieten von Selfies für Rechte
  • Moderation von strafrechtlichen Verfolgungen zwischen Polizei Einsatzkräften und Autonomen Gespräche am Gartentor

Die Neue Rechte und die AfD nutzen Mittel der Fiktionalisierung und Inszenierung, um sich Feindbilder zu schaffen und bedrohliche Zukunftsszenarien, die die Ängste von Menschen an ein diffuses Heilsversprechen binden. Fiktionalisierung aber, und Inszenierung, sind Mittel der Kunst und sollen nicht missbraucht werden. Das temporäre „Institut für Festkultur“ möchte Mittel der Fiktionalisierung nutzen, um die Gegenwart und das reale Zusammenleben von Menschen einem oder mehrerer Perspektivwechsel zu unterziehen. Kreative Möglichkeiten der Begegnung und des Austauschs schaffen, die Selbstwertgefühl von Personen und Gruppen stärken und den Mut für die Übernahme von Verantwortung, z.B. Ämtern in der Kommunalpolitik, feiern und stärken!

Die Vision: Ein Fest für die Bewohnerinnen und Bewohner von Schnellroda