Das Artist Lab „Feste Feiern“ beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Feste in ländlichen Räumen Ostdeutschlands von rechtspopulistischen Kräften unterwandert werden. Schnell haben wir gemerkt, dass Festkultur, das Gemeinschaftsleben und Wahlentscheidungen zugunsten rechter Parteien viele Hintergründe und Einflüsse haben. Daher haben Dramaturgin Sandra Bringer und Künstlerin Diana Wesser im Rahmen der Laborrecherche Menschen getroffen, die alle einen spezifischen Blickwinkel auf die Thematik haben; ihrerseits Expert*innen aus Kunst und Zivilgesellschaft. Mit ihren Erfahrungen ergänzen und untermauern sie die künstlerische Forschung im Labor. Es wurde gesprochen über die DDR, über Theater, über Identität und Lesbarkeit, über die Nachwendezeit, über Beziehungen auf dem Dorf, über Ein- und Ausschlüsse, über Vereine und Bürgermeisterinnen. Entstanden ist unter anderem ein tieferes Verständnis über die Unterschiede zwischen Stadt und Land, Land und Stadt und zwischen ländlichen Räumen untereinander – es gibt sie nämlich – die „resilienten Dörfer“, deren Gemeinschaft aktiv und demokratisch ist.
Hintergründe, Erlebnisse und Erfahrungen teilten mit uns
Bernd Stracke (Institut B3 – Löbau / Sachsen)
Micha Kranixfeld (Performer und Kulturwissenschaftler – u.a. Leipzig / Sachsen)
Claudia Engel (flunkerproduktionen – Dahme / Brandenburg)
Tucké Royale (Autor, Regisseur – u.a. Quedlinburg / Sachsen-Anhalt)
Alf Thum (Front Deutscher Äpfel / Leipzig – Sachsen und bundesweit)
Juliane Meckert (Schauspielerin, Regisseurin, Vermittlerin – u.a. Lausitz / Sachsen)
Anna Stiede (Politologin, Performerin – u.a. Apolda / Thüringen)
Vielen Dank dafür!
Hier ein kurzes Audiofeature mit unseren Gesprächspartner*innen in der Reihenfolge ihres Sprechens:
Weitere Beratung hat stattgefunden mit:
Kerstin Dathe (theaterlandschafft), Torsten Hahnel (miteinander e.V. Sachsen-Anhalt), Katharina Hindelang (Halle gegen Rechts e.V.), Peng! Kollektiv (politaktivistisches Performancekollektiv), Julia Raab (Figurenspielerin), Jacob Simon (Autonomes Kaspertheater Halle), Karen Ascher (Künstlerin) & Dörthe Ziemer (Redakteurin, Kommunikatorin, Journalistin)
Im Gespräch mit Karen Ascher und Dörthe Ziemer (Landkreis Dahme-Spreewald, Land Brandenburg)
Sozial-politische Aufgaben im ländlichen Raum vom nördlichen Spreewald
Jule Torhorst: Die sozial-politischen Aufgaben im ländlichen Raum verändern sich ja stark. Bemerkt ihr in der Lokalpolitik eine Veränderung in den letzten Jahren?
Ascher: Ich beobachte in der Politik im Kreistag, dass zunehmend Konfrontationen gescheut werden, immer nur die sichere Seite gewählt wird. Da spüre ich als Bürgerin einen Drang. Wir müssen irgendwas tun. Wir können das nicht immer alles so stehen lassen. Wir können nicht immer uninteressiert wirken. Dann habe ich alle Leute aus meinem Umfeld kontaktiert, von denen ich angenommen habe, dass sie mitmachen und in eine Gruppe eingeladen. Erst mal über einen Chat Room und dann haben wir uns in Persona getroffen und uns überlegt, was wir machen können, um die Politik ein bisschen zu schärfen, auch um rüber zu bringen, dass wir sie ein bisschen beobachten. Das soll nicht böse klingen, sondern dass wir mitdenken, dass wir was fordern, dass wir was wollen, und dass wir es wahrnehmen, dass sie ein wenig untätig sind. Dann haben wir beschlossen, wir werden ab jetzt öfter in die Stadtvertretung in den Kreistag gehen und dort Anfragen stellen, zu allen möglichen Themen. Wir haben die erste Anfrage gestellt: Warum die Stadt Lübben die Regenbogenfahne nicht raus gehängt hat im Pride month. Darauf haben wir die Antwort bekommen: „Na, die haben wir ja letztes Jahr schon raus gehängt.“
Den Umgang der Politiker*innen mit den gestellten Anfragen, den hören ja alle in der Sitzung. Das bekommen dann alle mit, die mit dir im Raum sind. Dann können sie sich dazu Gedanken machen. Danach haben uns die Politiker*innen überrannt und uns eingeladen, sie wollen mit uns ins Gespräch kommen. Wir kommen gerne in die Ausschüsse, wir können gerne reden, wir können gerne Themen anstoßen. Das ist ja eine PRO Aktion, die sollen uns nicht als nervig empfinden, weil wir da sind und Fragen stellen, sondern wir wollen das Reden wieder ein bisschen in Gang bringen, wollen engagierte, mündige Bürger*innen sein.
Ziemer: Da fehlen eben auch Medien, die das spiegeln, die diesen Streit im positiven Sinne im Parlament abbilden. Das findet ja kaum noch statt. Wenn, dann wird dramatisiert und überspitzt, wer verloren hat und so. Aber dass es da um Inhalte geht und dass man unterschiedlicher Meinung sein darf, und dass man die ausdiskutiert: Wer sagt was und wie geht’s weiter? Das muss man VOR der eigentlichen Entscheidung machen. Man muss also VORHER in den Ausschüssen sein, wo die Sachen diskutiert werden und nicht im Kreistag, wo nur noch abgestimmt wird, weil es vorher durchdiskutiert wurde. Das ist ja auch spannend, es geht ja immer um Themen.
„Annemarie Polka“
Torhorst: Was wird für Gäste auf einem Dorffest an Essen angeboten?
Ascher: Du musst ja überlegen, wie schließ ich die Leute auf. Und die schließ ich nicht auf, indem ich ne Bowl anbiete oder Lachsschnittchen. Sondern die schließ ich auf, wenn ich Bratwurst anbiete. Ich muss ja auch überlegen, wen will ich anziehen. Ich will ja alle anziehen und alle essen Bratwurst.
Ziemer: Das sagen eigentlich die meisten: „‘Ne gute Bratwurst, da geht nichts drüber.“
Torhorst: Und die Inhalte kommen dann während der Wurst. (…)
Sind denn alle Menschen auf den Dorffesten? Oder fehlt da jemand noch?
Ascher: Eine Person, die eine Kulturveranstaltung für Menschen mit Migrationshintergrund organisiert, sagte: um für diese Menschen einen sicheren Ort zu schaffen, sind andere Menschen ausgeschlossen. Wie macht man das dann? Wen schließt man aus? Und wie setzt man das durch? Klar, wenn ich weiß, da kommt einer, der schlägt immer nur zu… den lass ich natürlich nicht rein. Ich kann auch sagen, Leute mit bestimmten Symbolen haben hier nichts zu suchen. Ja. Wie die Person das umsetzt, weiß ich gar nicht mehr. Hat sie nicht gesagt.
Ziemer: Bei unseren Dorffesten, da ist dann wirklich jeder. Da sind die Zugezogenen, die dort Geborenen, die Lehrer*innen, die Bauarbeiter, da ist jeder. Beim Rosenbaumfest. Da wird ein Baum mit Rosen geschmückt und aufgestellt. Da kommt auch abends die Jugend und dann tanzen wirklich alle Annemarie Polka. Die Annemarie ist eigentlich ein Lied, das unter den Nazis als Mutmacher komponiert wurde. Aber das erzähl mal hier den Leuten, die hier Annemarie Polka tanzen. Ist es richtig, das zu thematisieren? Wie geht man damit um? Was zu sehen ist: Die Annemarie Polka bringt die Menschen gemeinsam auf die Tanzfläche.
Anmerkung: … Wo kommt die Polka Annemarie her? – Liebchen adé!, auch bekannt unter dem Namen Annemarie-Polka, ist ein Werk des deutschen Marschliederkomponisten Herms Niel. Liebchen adé wurde von Niel 1934 komponiert. Sein Text entspricht dem des überlieferten Volksliedes LIEBCHEN ADE und wurde von Niel mit Annemarie ergänzt.-
https://de.wikipedia.org/wiki/Liebchen_adé
Bedeutung von Kunst und Theater?
Torhorst: Soll man als Kulturschaffende*r seine eigenen Feste organisieren oder muss man auf den vorhandenen Dorffesten sichtbar sein?
Ziemer: Ich glaube eher letzteres. Was hat man davon, ein eigenes Fest zu organisieren? Als Außenstehender. Jetzt kommen ganz viele, und da frage ich mich manchmal: Wie weit seid ihr entfernt von dem Ort, wo ihr hingezogen seid? Es hat hier lange kaum Zuzug gegeben. Damals war auch die Schule bedroht, und es war die Rede davon, dass manche Landstriche wohl aussterben. Und jetzt kommen eben alle, die viele Zugezogene mit ihren Ansichten. Dann muss man in der Schule manchmal zum 100. Mal die Schulspeisung diskutieren. Also, da frage ich mich in letzter Zeit: Wo führt das hin? Führt das zu was Fruchtbarem, oder führt es zu nem Clash?
Ascher: Das war für mich der Anfang, um überhaupt mit dem Kulturdreieck anzufangen. Kultur, Kultur, Kultur, Kultur. In die Schule von Halbe, da haben wir Künstler*innen in den Nachmittagsunterricht gebracht, verschiedene Künstler*innen und wie die das machen, das sollte man nicht unterschätzen. Das sind genau die Dinge im Alltag, bei denen man ansetzen kann. Das sind die Sachen, wo die Kinder Künstler*innen erleben können, wo sie sehen, wie sie sich ausdrücken. Wo sie Sachen ausprobieren können, wo auch Migrantenkinder aus Massow in der Klasse sind…
Ziemer: … die nicht in den freien Kurs kommen.
Ascher: Beim Basteln, da können die Kinder erleben, dass das nicht irgendwelche blöden Kinder sind, die meine Sprache nicht sprechen können, oder die komisch aussehen. Sondern die können coole Aufgaben erledigen. Die sind cool und machen ja richtig witzige Sachen. Die machen mit, es macht Spaß, ich muss gar nicht mit denen reden, kann erst mal sehen, was die können. Die ganzen Ansätze im Kulturangebot, die wir da verfolgt haben, das ist das, was wir tun können. Da wo sie lernen, sich auszudrücken, ihre Sachen werden ausgestellt, dann kommen die Eltern und sehen sich das an. Die erleben in der Schule meinetwegen Theater, wo Themen durchgespielt werden, die sie nachempfinden, und wo sie nicht diese ständigen Stereotypen übernehmen, die sie zu Hause gesagt bekommen. Sondern wo sie in einen neuen Ansatz erfahren. In der Schule, in der Öffentlichkeit. Wo das gelebt wird, wo das gezeigt wird. Was man AUCH denken kann, wie man sich ausdrückt, oder womit. Überhaupt einen Ausgleich zu finden. Aggressiv zu sein beim Malen, und nicht indem ich die Kinder verkloppe, oder mir einen suche, den ich ärgern will. Sondern das verbal in einem Theaterstück verarbeite, oder ich singe das raus. Das hört sich jetzt so esoterisch an, aber das ist es nicht.
Manche Kinder haben das… Manche Kinder sind halt feinsensibel. Manche aber gar nicht. Da weiß man, die spielen zu Hause nur am Computer, das wird hingenommen, die gucken nur fern, die kriegen nur die Stereotypen, die von anderen publiziert werden und die an die Kinder rangelassen werden. Die brauchen diese Angebote ganz dringend. Sonst kommen sie da nie raus.
Und wenn man das nur der Feuerwehr überlässt… Ich sag ja nicht, dass die Feuerwehr schlecht ist, nein nein, die haben sehr viele gute Seiten. Ganz tolles Engagement, tolle Angebote, aber halt keinen kulturellen Ansatz. Und den brauche ich aber auch.
Ziemer: Das war für mich überhaupt der Punkt, mich mit Kulturarbeit zu befassen. Hab‘ ich ja eigentlich gar nicht gemacht. Ich bin Journalistin. Dann war ich Pressesprecherin und hab gedacht, naja, wenn man als Journalist im Lokaljournalismus nicht mehr weiterkommt, dann kann man vielleicht wirksam werden, wenn man in der Verwaltung ist und die Dinge, die dort passieren, erklärt. Das war so mein Ansatz. Fanden manche gut, andere nicht.
Und ich hab‘ mich gefragt: Warum haben die Leute überhaupt keine Diskussionskultur, keine Offenheit und eine gewisse Art von Engstirnigkeit und ein: „das haben wir schon immer so gemacht“? Irgendwann bin ich draufgekommen und das hört man ja auch überall, dass tatsächlich die kulturelle Betätigung fehlt.
Also ich sag mal, Sport hat immer eine Lobby. Wenn es um Hallensport geht und kostenlose Sportanlagen, da ist vieles möglich, aber die Kultur muss immer noch mehr kämpfen.
Ascher: Der Schlüssel ist, glaube ich Emotion. Echte Emotionen wecken. Ich sehe das auch in der Förderschule, da habe ich einmal die Woche Unterricht. Da hab ich Kinder, die werden zum Teil gar nicht ernst genommen. Aber wenn ich mit denen zum Beispiel mit Ton arbeite, was sie mir schon erzählt haben, das ist ein riesiger Türöffner. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was die für schlimme Sachen erzählen. Das ist zum Teil wirklich hart, aber ich weiß, dass ihnen das hilft. Ich mach das ja schon seit nem Jahrzehnt. Wenn ich die in der Stadt treffe, dann kennen die mich noch. Das ist für mich Anzeichen, dass das Ihnen irgendwas gegeben hat. Ich erinnere mich ja auch an die. Weil ich zum Teil deren Geschichten noch im Ohr habe. Das brauchen die Kinder, die brauchen das im Alltag.
Ziemer: Aber auch die Erwachsenen brauchen diese Art von Auseinandersetzung mit sich selbst. Auch die Art, sich gemeinsam anzustrengen. Für irgendwas. Also ich singe im Chor, und ich merke das immer wieder, wie viel das eigentlich bedeutet, einmal sich auf sich selber zu konzentrieren, andererseits zu hören: Was macht man Nachbar? Wie kommen wir zusammen? Wie geht das alles? Und das aber nicht auf einer argumentativen Ebene, sondern auf so einer unterschwelligen, emotionalen Ebene.
Ascher: Die Lesung, die du da konzipiert hast in Halbe, https://halbewelt.de/2022/07/21/die-kriegskinder-von-halbe/ , da waren vielleicht nicht so viele Leute wie da hätten sein können, aber die Leute, die da waren: die hatten mal ne Möglichkeit, mit anderen ins Gespräch zu kommen, was anderes zu hören. Gemeinsam einen Text auszuwerten, mit dem Autor zu reden, wer hat das schon auf dem Dorf! In einer Wohnzimmer Atmosphäre, ja, wie gut war das? Da hast du auch gehört, die machen sich Gedanken! Die haben eine Meinung. Möchten auch darüber reden.
Ziemer: Ja dieses „Sich-anstrengen“, auch mal eine Ambivalenz aushalten. Wenn ich ein Buch lese, das hat so viele Facetten… Die Reihe hat mir wieder gezeigt, wie vielschichtig das ganze Leben ist und wie das alles ineinander greift um sich zu entwickeln. Auch so ne Empathie den Leuten gegenüber zu bringen.
Ascher: Genau, wenn du liest, siehst du, ich bin ja nicht allein mit meinen Dramen, sondern… diese ganzen literarischen Figuren sind ja alle in irgendwelche Dramen verstrickt und ich bin nicht allein auf der Welt mit meinen Dramen. Und das Drama ist ja noch viel schlimmer als meins.
Ziemer: Ja und die vielen verschiedenen Blickwinkel auf diese ganzen Dinge mitzuempfinden.
Ascher & Ziemer: Ja, Kultur, Kultur, Kultur.
Ascher: In meinem Kunstunterricht stelle ich zum Beispiel die Aufgabe: „Male einen Baum“. Ich sage eben nicht: „Male einen braunen Stamm und dann male so die Äste.“ Sondern ich lass es frei. Da sehen die Kinder, wenn wir am Ende die Bilder gemeinsam ansehen: Oh, die hat ja den Baum ganz anders gemalt, die hat ja nen Weihnachtsbaum und ich hab nen Apfelbaum. Is ja genau dasselbe wie in der Musik und im Theater. Jeder fasst das anders auf und setzt es anders um. Das müssen wir auch bedenken. Das lernen die dann auch in der gemeinsamen Auswertung. Deshalb find ich Gespräche nach dem Theater oder nach der Lesung so wichtig. Man sieht ja nicht, wie der andere das aufgefasst hat. Da sind wir in der Kunst schneller. Wenn ich das Bild des anderen sehe, dann seh‘ ich das direkt.